Montag, 29. Mai 2023

Workaround

Heute habe ich ein nettes Gedicht gesehen, handgeschrieben, und vermutlich von einem sehr jungen Menschen. Es beginnt mit dem Satz: "Ein Lächeln ist wie ein Smiley." Moment mal... Verwechselt da jemand das Ei mit dem Huhn? Wird man sich eines Tages ernsthaft fragen: Was war zuerst da - der Smiley oder das Lächeln? Huh, das wäre ein bisschen gruslig. 

Wenn man bedenkt, dass Menschen jahrhundertelang überwiegend mit Federkielen oder angespitztem Bambus geschrieben haben, weil Kugelschreiber und Schreibmaschine noch nicht erfunden waren, sind wir in sehr kurzer Zeit hochgradig anspruchsvoll geworden. Das ist schon okay: Wir wollen ja zeitnah auf den Mars auswandern, und nicht mit der Kutsche wochenlang ins Land holpern, in dem die Zitronenbäume blühen. Gemütliche Zeiten waren das auch nicht, und in jeder Epoche gibt es andere Probleme und Problemchen. 

Wie haben wir das "früher" bloß alles gemacht?!
Das ist eine sehr beliebte Frage bei Menschen, die noch ohne Internetz und ohne Personal Computer (PC) oder Mac aufgewachsen sind, und in diesen Tagen erstmals mit der KI flirten. Technischer Fortschritt und menschliche Anpassung gehen Hand in Hand, und sie schaukeln sich gegenseitig hoch. Wer nicht am technischen Puls der Zeit bleibt, wird irgendwann abgehängt. Das erlebe ich gerade, während ich an meinen "mutterfreien Tagen" auf ein - immerhin noch funktionierendes - Altgerät zurückgreife. Meine Mutter versteht solche Probleme überhaupt nicht, sie hat nie einen Computer angefasst. Hauptsache der FCB ist wieder Meister. Meine Schwiegereltern, gleiche Generation, sind da ganz anders: internetfähig. :-)

Lieferprobleme und die Qual der Wahl
Mein kaputtes Notebook, das eigentlich ein Laptop ist, muss auf jeden Fall ersetzt werden. Darum hatte ich bereits Anfang letzter Woche ein neues Gerät ausgesucht und bestellt. Vier Wochen Lieferzeit, weil "nicht von der Stange", aber dafür richtig gut, und genau das, was ich haben wollte. Also okay, da warte ich gerne. Zwei Tage später erhielt ich die betrübliche Mitteilung, dass es meine Monstermaschine nicht mehr gibt, oder nur zum doppelten Preis woanders. Jaul... Alles zurück auf Anfang, nichts überstürzen. Nochmal neu recherchieren, vielleicht gar auf die nächste Prozessorgeneration warten. Und in der Zwischenzeit?

Kompatibiität
Bis zum Wiedereintritt ins gewohnte Arbeitsumfeld frickle ich zuhause abwechselnd mit einem 14 Jahre alten Macbook herum, leihe mir das Windows Notebook von meinem Mann, oder fummle mich auf dem Android Smartphone durch. Jedes Mal bin ich mit einer anderen Benutzeroberfläche konfrontiert, anderes Betriebssystem, andere Programme. Fehlt bloß noch ein Linux-Pinguin in der Sammlung, aber nein, diesen Weg bin ich nie gegangen. 

Es ist auch so die virtuelle babylonische Verwirrung: Hinz kommt nicht mit Kunz klar, und für Karlheinz gibt es kein Betriebssystem-Update mehr. Der ist irgendwann in der Zeit "stehengeblieben", und lernt nichts mehr dazu. Bequemlichkeit oder "Komfort" ist eine andere Sache: Kennen Sie alle Ihre Zugangsdaten und Passwörter auswendig, nach denen Sie auf einem fremden Gerät, in einem anderen Browser gefragt werden? Ich nicht. Das macht Spaß.

Haptik und Design
Für jemanden, der normalerweise mit zehn Fingern blind schreibt, ist schon der Tastaturwechsel von Gerät zu Gerät ... Gehirnjogging vom Feinsten. Apfeltaste, Controltaste... Ziffernblock? ... ne. Hier gibt's eine DEL Taste, dort nur "rückwärts löschen", und für einen Bindestrich auf dem Smartie-Touchscreen muss man erst mal SHIFT und G wählen, dann den Bruchteil einer Fingerspitze lange auflegen, und zum - wischen. Was für ein Umstand, aber klar: Wer braucht schon einen Bindestrich? Der ist was für Freaks, überflüssiger Schnickschnack.

Um es in einem Satz zusammenzufassen: Alle meine gewohnten Arbeitsabläufe sind momentan empfindlich gestört, und die "Cloud" hilft mir auch nur bedingt weiter. Der veraltete Browser auf dem alten Mac kann beispielsweise die Dropbox Login-Seite gar nicht öffnen. Obwohl unser Gerät eigentlich noch in Ordnung wäre, ist es mangels Updatemöglichkeiten nur noch eine Krücke. So viel zur vielzitierten "Nachhaltigkeit", aber ich weiß auch: Die Sache ist komplex. Momentan lerne ich gerade eine Menge über "Workarounds", und denke über künftige Notfallkonzepte nach. Dass ich momentan keine Emojis verwenden kann, ist ein anderer Nebeneffekt, der mich wiederum weniger einschränkt. Das Programm Excel ist für mich erheblich wichtiger, da muss ich warten, bis mein Mann sein Notebook nicht selber benutzt.

Risiken und Nebenwirkungen
Ich versuche diese Situation mit Gelassenheit und Humor zu nehmen, aber es geht nicht ganz spurlos an mir vorbei. Wahrscheinlich knirsche ich nachts mit den Zähnen, anders kann ich es mir nicht erklären, dass mir gerade ein morscher Backenzahn zerbröselt ist. Es tut nicht weh, ist aber kaputt, und jetzt muss ich erst mal wieder zum Zahnarzt, und den Zahn reparieren lassen.  Sowas passiert natürlich ausgerechnet an einem Feiertag zu Beginn der Ferien... Bitte warten.

Fragile Digitalisierung
Es hätte gar nicht so weit kommen müssen: Das für die anstehende Zahnbehandlung erforderliche Schreiben hatte ich von meiner Krankenkasse schon Ende April bekommen, ganz modern und papiersparend in die App. Dummerweise war auf meinem Gerät gerade das Sicherheitszertifikat abgelaufen. Ich kam also nicht an den Brief ran. Als ich einen neuen Freischaltcode online anfordern wollte, war die Krankenkasse plötzlich offline, weil der größte und wichtigste IT-Dienstleister vieler Krankenkassen von einem massiven Cyber-Angriff betroffen war. Haben Sie davon was mitbekommen? Das geht nicht groß durch die Medien, obwohl es ein Riesen-Thema wäre.
Die Kundenberater*innen hatten über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg nicht mal mehr E-Mail oder Telefon, außer einer zentralen Notfallhotline. Ich hoffe, dass ich morgen an meine wichtigen Unterlagen komme - nach über vier Wochen Wartezeit. Da bin ich mit meiner Uralt-Technik und dem Geräte-Wirrwarr ja noch richtig gut dran, weil ich schon am nächsten Tag wieder Zugriff auf meine Mails und den Blog hatte. Es ist etwas umständlicher, aber es geht.

Zwangsdigitalisierung: Falsche Priorität
So sehr ich die moderne Computerei mag, und keinesfalls darauf verzichten wollte: Wir dürfen den Unterschied zwischen einem Smiley und einem echten Lächeln nicht vergessen. In Spanien gab es erst vor kurzem eine Gesetzänderung, die der Zwangsdigitalisierung einen Riegel vorschiebt. Auch wenn wir es bequemer finden: Wirklich elementare Abläufe und Dienstleistungen müssen auch weiterhin analog funktionieren. Am besten stehen wir mit einem Fuß in der analogen, und mit dem anderen in der digitalen Welt, dann können wir bei Bedarf und im Notfall das Standbein wechseln. Wenn kaputte Computer und Cyberangriffe eine gute Seite haben, dann die, dass sie uns zeigen, wie störanfällig unser Leben ist, sobald das Netz oder die eigene "Kiste" mal nicht läuft.

Siehe auch: Wenn das Notebook niest, Wichtige Info, #webseidank, Digitale Revolution: Erlebnisse aus dem Alltag, Randnotizen der Digitalisierung, Finden Sie den Oktopus!, hometogo 1982, Sie haben Post!Briefankündigung, #Internetz

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