Samstag, 3. September 2022

Salat: Ob der wohl gesund ist?

 

"Erinnerst du dich noch an diesen Beitrag im Morgenmagazin, den wir so ... 2005 oder 2006 gesehen hatten?", fragte mein Mann. Das ist eine gute Frage im Jahr 2022, an einem Samstagmorgen um sechs Uhr. 😅
"Ähm... welchen meinst du?", fragte ich zurück. Abgesehen von der ausführlichen Wettervorhersage, die wir punktgenau aufzeichnen, um alles davor und dahinter überspringen zu können, schauen wir seit über zehn Jahren kein Morgenmagazin mehr. Das schränkt die Anzahl der Beiträge deutlich ein, die mein Mann gemeint haben könnte. Er half meiner Erinnerung auf die Sprünge: "Da war so ein Team unterwegs, und es ging um Salat. Es wurde live übertragen, ein Reporter ging auf einen Passanten zu, hielt ihm das Mikrofon unter die Nase, und fragte: 'Salaaat: Ob der wohl gesund ist?' - Daraufhin brüllte der Typ total wutentbrannt ins Mikrofon: Is mir doch scheißegal!"

So geht Interview live. Der Brüller. Wir haben uns damals schlappgelacht, und heute auch wieder. Salat ist ein unverfängliches Thema, oder war es zumindest im Jahr 2005 oder 2006.

Von den Abendnachrichten bis zum Wissenschaftsmagazin: Seit gefühlten Jahrzehnten ist es gängige Praxis, den Bürger oder die Bürgerin auf der Straße nach deren Meinung zu fragen. Wann sich diese immer wiederkehrende Methodik etabliert hat, weiß ich nicht. Hinz und Kunz kriegen ein Mikrofon vor die Nase gehalten und dürfen dann sagen, was sie denken. Angefangen haben wahrscheinlich die privaten Fernsehsender in den 1980er Jahren, Sensationsmedien. Die unverblümte Meinung des Halbidioten war gefragt, damit man ihn oder sie bei solchen Gelegenheiten gut vorführen, und das Publikum zum Johlen bringen konnte. Einschaltquote garantiert: der Maschendrahtzaun bei Stefan Raab,  und "Filmen Sie mich nicht ins Gesicht"-Typen mit Deppenhelm in Deutschlandfarben.

Wenn wir damals irgendwo in der Münchner Innenstadt unterwegs waren, und aus der Ferne ein Fernsehteam erspähten, machten wir gleich einen ganz, ganz großen Bogen drumherum. Es gab und gibt genug Menschen, die unbedingt ins Fernsehen wollen, oder zumindest nichts dagegen haben, wenn es seriös wirkt. Auch heute sieht man noch manchmal hinter den TV-Journalisten Leute, die vor laufender Kamera Faxen machen, oder in die Kamera winken. Andere winken im Vorbeigehen ab, wenn das TV-Team händeringend nach Interviewpartnern sucht, um die "Straßenmeinung" einzufangen. Finden Sie die Nudeln von Supermarkt A, B oder C besser? Ist mir doch scheißegal! was Hanni P. aus Hintertupfing darüber denkt!

Jetzt waren es gerade Interviews an Tankstellen und Bahnhöfen, nachdem der Tankrabatt und das 9-EUR-Ticket zum ersten September abgeschafft wurden. Oder der Pilotenstreik, Interview am Flughafen. Ja was denken denn die Menschen auf der Straße über solche Themen? Muss man das wirklich abfragen und zur besten Sendezeit im Fernsehen bringen, wo die Nachrichten aus aller Welt sowieso gerade mal zehn oder fünfzehn Minuten dauern, mit einer skurrilen Vermischtes-Nachricht enden, und der Kasper mit dem Sport auch noch dran ist? Zeitverschwendung.

Damit es nicht zu unerwünschten Ausrutschern à la "Ist mir doch scheißegal!" kommt, werden die Straßenkommentarbeiträge vorher geschnitten. Man ist sichtlich um Ausgewogenheit bemüht. Eigentlich könnte auch eine Kommentatorenstimme diese Meinungsfetzen einsprechen, aber das ist psychologisch zu sehr "von oben herab". Darum ist es geschickter, die Meinungen von verschiedenen Zufallsstatisten einzusammeln, und sie im Beitrag von "Menschen wie du und ich" aussprechen zu lassen: Junge, Alte, Frauen, Männer, Sternchen, bei Bedarf auch Kinder, je nach Thema. So wird "die Gesellschaft" in ihrer ganzen Vielfalt abgebildet. Die Zuschauenden finden sich wieder und sehen mit eigenen Augen, dass "der kleine Mann" mit seiner Meinung im Fernsehen zur Sprache kommt. Gerne auch ein bisschen kritisch, aber bitte nicht zu sehr, oder wenn, dann mit der entsprechenden Einordnung. So komische Meinungen haben nur Linke oder Rechte oder unterbelichtete Kasperlköpfe, aber auch solche  Minderheiten sind in einer Demokratie zu berücksichtigen. Wenn sie "Is mir doch scheißegal!" in die Kamera brüllen, sieht jeder, dass solche Leute nichts zu sagen haben. 
 
Ob der Salaaat nun gesund ist oder nicht: Die Bürger*innenmeinung im Morgenmagazin wird daran nichts geändert haben. Vielleicht hilft im Jahr 2022 eine repräsentative Umfrage unter Veganern. Und jetzt zum Sport. 😏

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