Donnerstag, 26. Januar 2023

Endlich wieder Kino...

Feuerfisch

Es gibt wenige Filme, für die mein Mann und ich noch ins Kino gehen. Für die Kinobetreiber:innen tut es mir leid, aber die Zeit bleibt nicht stehen. Wir fahren ja auch nicht mehr mit der Postkutsche in den Urlaub. Dass ich kein Popcorn mag, und den süßlichen Duft erst recht nicht, ist ein persönliches Einzelschicksal. Für die meisten Kinobesucher bleibt der Snack nebst Megabottich Zuckerplörre unverzichtbar fürs analoge Kino-Erlebnis.
Das war es also nicht, was uns am Wochenende ins nahegelegene Kino getrieben hat. Wenn wir unser überaus gemütliches Zuhause-Kino verlassen, dann muss es schon etwas geben, das man im heimischen Umfeld und auf einem TV-Monitor nicht haben kann. Was kommt da also in Frage? Natürlich, 3D-Filme mit tollem Dolby-Surround-Ton, am besten weit vorne im Saal sitzend, direkt zum Mitkämpfen für meinen Mann, oder "Sich von fantastischen Welten fesseln lassen" für mich. 

Haben Sie schon erraten, welchen Film wir gesehen haben? Das ist ja nicht besonders schwer, oder? 😅 Noch ein Tipp: Es ging um blaue Lebewesen auf einem paradiesischen Planeten. Diese Wesen sind eigentlich total friedliebend und naturverbunden (das sind wir!), müssen dann aber doch zu den Waffen greifen, um sich und ihre schöne Welt vor fiesen Invasoren zu verteidigen. Das sind wir auch, aber nein ... so böse sind wir nicht. Das sind die anderen. 😁

Trigger-Warnung: Wenn Sie den Film noch sehen wollen, oder schon total begeistert davon sind, könnte meine Filmkritik negative Gefühle bei Ihnen auslösen. Entscheiden Sie selbst, ob Sie meine Meinung lesen oder weiter surfen wollen. 😊

Siehe auch: Happy Birthday, Steven Spielberg!, Popkultur: Löffel verbiegen, West World,  Bitterböse, Mom and Dad: Schaff dir bloß keine Kinder an, Nervenzerreißend gruslig, Sei lieb - bete und gehorche, Kansas City Shuffle, Liebe, Zur Hölle mit den anderen

Sie wollen die #Filmkritik lesen? Hier gehts weiter.

Glücklichsein ist so einfach...
bis der böse Bube kommt. Mit dessen Erscheinen wären wir auch schon bei der einzigen wirklich innovativen Idee in der gesamten Story: Der Bösewicht aus Teil 1 hat in der Cloud überlebt, seine Erinnerungen wurden von einem Datenträger in einen neuen, auf dem Zielplaneten einheimischen Körper hochgeladen. Das hat reibungslos funktioniert, er kann also sofort loslegen, und mit seinen baugleichen Kumpels in den Kampf ziehen. Alles andere hätte den Film unnötig verlängert, auch so sind es 208 Minuten, was bei einigen Zuschauern nicht nur die Blase in Bedrängnis bringt, sondern auch die Geduld strapaziert.

Technisch hervorragend, inhaltlich ein Desaster
In einem fast dreieinhalbstündigen Epos ohne Pause schwelgen die Kinobesucher:innen in definitiv wunderschönen 3D-Bildern. Für playstationverwöhnte und hartgesottene Action-Fans ist zwischendurch auch einiges geboten, es hätte aber mehr sein können, wenn ich die Reaktionen meines Mannes richtig einschätze. 😉
Es ist dennoch möglich, sich zwischendurch rauszuschleichen, sei es um Popcorn nachzukaufen, neue Getränke zu holen, oder getrunkene zu entsorgen. Der Film enthält genug langatmige Phasen, in denen die Protagonisten im virtuellen 3D-Aquarium hoch ästhetisch mit jeweils neuen Fantasiewesen  Wiederholungsschleifen drehen. Da mag man nicht an den Bottich in einem Berliner Hotel denken, der unlängst zerplatzt ist, aber das nur nebenbei.

Atme tief in den Bauch!
Ja, das wünscht man auch dem Zuschauer, der in seinem hoffentlich bequemen Kinosessel sitzt, und insgeheim darauf wartet, dass es jetzt endlich irgendwie losgeht. Da ist dann schon mal gut eine Stunde von den dreieinhalb vorbei. Poesie gibt es wohl, aber die ist nicht mehr so neu wie im ersten Teil.
Nicht nur das faszinierend animierte Wasser plätschert, auch die Handlung. Was passiert, ist so vorhersehbar wie das Amen in der Kirche. Eine Sequenz mit Drachenzähmung darf nicht fehlen: Auch Bösewichter können im angeeigneten Fremdkörper Drachen reiten, und Wasserdrachen sind für Waldbewohner gewöhnungsbedürftig.
Oft sind es weibliche Wesen, die das letzte Wort haben - und nicht nur mit dem Flitzebogen schießen können. Dazwischen werden viele gesellschaftlich relevante Themen des Planeten Erde skizzenartig angerissen, nur um von den wunderbaren Bildern gleich wieder weich- und in die Tiefen des supersauber animierten Traumozeans hinweggespült zu werden.
Die episch-nölende Begleitmusik zerrt im weiteren Verlauf zunehmend an den Nerven, es wird auf die Tränendrüse gedrückt, bis die Bösewichter mal wieder dran sind. Dann knallt und kracht es aus dem Dolby-Surround, als würde der Helikopter mitten durchs Kino knattern. Wer zwischendurch eingeschlafen ist, wird es begrüßen, aber wenn Sie zart besaitet sind: werfen Sie den Popcorn-Becher nicht vor Schreck um.

Asylsuchende mit zu dünnen Schwänzen?!
Ja sorry, ich habe mir das nicht ausgedacht, und in manchen Kreisen ist es einen Lacher wert. Es ist ja nur ein Film. Wir lernen: Mobbing gibt's auch im Paradies, selbst wenn keine "Himmelsmenschen" vor Ort sind, um für ihre Spezies rücksichtslos neuen Lebensraum zu erobern. Um fremd zu sein reicht es schon, wenn die einen blau und die anderen türkis gefärbt sind. Das Zielpublikum muss sich mit den Figuren irgendwie identifizeren können, und um die Ehre der Schwester zu verteidigen, darf auch mal unter Jungs geprügelt werden. Mädchen müssen beschützt werden, finden das aber nur zum Lachen.
Freundschaft mit Ausgestoßenen zu schließen zahlt sich am Ende aus. Das ist durchaus eine schöne Botschaft, wenn nicht alles so holzschnittartig rüberkäme. Psychologisch unausgegorene Figuren und eine äußerst dünne Handlung werden von den schönen Bildern eine Zeitlang getragen, aber nicht dreieinhalb Stunden lang. Wir hätten uns eine Fernbedienung gewünscht, um weiter zu zappen, aber wir waren ja im Kino, und nicht daheim.

Zu viel gewollt?
Man weiß manchmal nicht so genau, ob das Öko-Epos jetzt ein Familien- oder Teenie-Drama ist, ob es eine Geschichte von Migration und Verfolgung werden wollte, oder einfach nur eine krasse Version vom Untergang der Titanic, mit einem modernen Kapitän Ahab als völlig überzeichneter Nebenfigur. Der filmischen Zitate gibt es viele. Ein Wissenschaftler, der im Dienste des Kommerz intelligenten Wesen wider besseren Wissens die Hirnsubstanz extrahiert, und eine militärische Oberbefehlshabende mit Kaffeebecher im krassen Exoskelett wirken wie surreale Comicfiguren.
Am besten sind wirklich die Action-Szenen, in denen diese unbelehrbaren "Himmelsmenschen" super-realistisch in 3D den Gesetzen unserer terrestrischen Schwerkraft folgend durch die Gegend gewirbelt und eliminiert werden. Das können sie, die Hollywoods. Dafür würden wir auch nochmal ins Kino gehen. Die moralische Keule, die in den meisten Blockbustern geschwungen wird, oder der Lobgesang auf Waffenklassen jedweder Art ist uns dann aber auch wieder zu banal.

Teenie-Drama in 3D mit Fischen
Es ist wohl ein Film für die ganze "bürgerliche Kleinfamilie", wie es in einer Filmkritik des NDR heißt. Mir ist aufgefallen, dass Oma und Opa fehlen. Weise alte Lebewesen gibt es wohl, aber das sind alles Tiere oder Pflanzen. Die Zuschauer erleben Vater-Sohn-Konroversen um Gehorsam und jugendlichen Leichtsinn, die Rivalität zwischen Soldat und Tierversteher im bedrohten Paradies, sie sehen niedliche Babies, singende Wale, und eine augenverdrehende Pubertierende, die völlig entrückt von der Welt mit dem Goldfisch spricht. Dass sie nicht erfährt, wer ihr Vater ist, lässt uns schon ahnen, dass wir uns den dritten Teil anschauen sollen.
Gestorben wird auch: Einer von den Guten fällt bei der heldenhaften Rettung seiner Liebsten, und kehrt in den ewigen Kreislauf der Natur zurück. Opfer sind notwendig, auf beiden Seiten, und wenn man stirbt, dann für eine gute Sache.
Am Ende ist es die nächste Generation, die die Papa-Kampfhähne, die Mutter und die kleine Schwester vor dem Tod retten. So können die alten maskulinen Rivalen in der nächsten Episode weiterballern und ihr Territorium erneut verteidigen. Ob man dann wieder Kinder als Geiseln nimmt, bleibt abzuwarten.
Auch mit dem Sohn des Bösewichts, der bei den blauen Ureinwohnern aufgewachsen ist, lässt sich in Teil 3 noch eine Menge anfangen. Ob seine Frisur kulturell angeeignet ist oder nicht, spielt auf dem fernen Phantasieplaneten eine untergeordnete Rolle. Der arme Kerl läuft im Tarzan-Gewand herum 😂, und muss die ganze Zeit eine Sauerstoffmaske tragen. Ich hoffe ja, dass er in der Fortsetzung eine Art Darth Vader wird, wie im Krieg der Sterne. Bei so vielen Anleihen aus anderen Blockbustern ist mit dem Absurdesten zu rechnen.

Zu lang?
Ich schreibe viel zu viel und ich liebe schöne Bilder. So habe ich sehr viel Verständnis für James Cameron, der einen Kassenschlager abliefern, Geld verdienen und seine schöne, epische Filmreihe fortsetzen will. Dafür dürfte ihm ein Platz in der Ruhmeshalle neben Werken wie Star Wars sicher sein, obwohl er als Regisseur mit Terminator 1 und 2 und Titanic sowieso schon in der ersten Liga spielt. Ihm ist erneut ein technisch perfekter Blockbuster gelungen, Hut ab. Für weniger anspruchsvolle Gemüter ist der Film auch unterhaltsam, so ein bisschen mit Sinn im Sinne des aktuellen Zeitgeistes, und gnadenlos plakativ.
"Wenn sich die jungen Leute so einen unausgegorenen Quatsch anschauen, wundert es mich nicht, dass sie sich hinterher in der Kohlegrube einnisten", sinnierte mein Mann. Ich habe mich gefragt, ob es auf diesem paradiesischen Planeten auch ein Berg- oder Wüstenvolk gibt, und ob der dritte Teil dann in einer total kargen Steppe oder Steinwüste angesiedelt werden könnte. So ein Film dauert dann vielleicht nur 90 Minuten? Obwohl, wenn man an Star Wars denkt... 😅 Für manche Familien dürften die Ticketpreise mit Überlängen-Zuschlag jedenfalls ein harter Brocken sein.

Kommerziell erfolgreich!
James Cameron ist nicht nur dreifacher Oscar-Preisträger, mit Titanic und Avatar 1 sind unter seiner Regie auch zwei der drei kommerziell erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte entstanden.
"Siebzig Mark für einen Kino-Nachmittag", fasste mein Mann zusammen. "Als ich jung war, kostete eine Kinokarte sieben Mark." Naja, es sind ja auch dreieinhalb Stunden.
Meine Mutter hatte mir zwei Tage vorher erzählt, dass sie in ihrer Jugend jedes Wochenende im Kino war, und dass die Karte damals neunzig Pfennig gekostet hatte. Schwamm drüber, die Zeit bleibt nicht stehen. Sie wissen schon: Die Postkutsche...
Die Heizung für den halbleeren Saal in der familienfreundlichen Nachmittagsvorstellung muss ja auch irgendwie bezahlt werden. Die Energie dafür ist vermutlich Flüssigas, transportiert über den Way of Water mit erdölbetriebenen Schiffen. Wir sind ja nicht auf Pandora. Stoßen wir mit einem Stamperl Walfischöl an, und schauen wir, wann Teil 3 kommt. Dann vielleicht mit virtueller 3D-Brille für's Heimkino, oder bei Mark Zuckerberg im Metaversum. 😉 

Der Dokumentarfilm "Mein Lehrer der Krake" ist zwar nicht in 3D, wäre aber für Netflix-Abonnenten eine schöne Alternative.

Siehe auch: Andersherum betrachtet, Happy Birthday, Steven Spielberg!, Popkultur: Löffel verbiegen, West World,  Bitterböse, Mom and Dad: Schaff dir bloß keine Kinder an, Nervenzerreißend gruslig, Sei lieb - bete und gehorche, Kansas City Shuffle, Liebe, Zur Hölle mit den anderen, Kalle Kino

Weiterführende Links

Keine Kommentare: